Treten sie einfach ein und ....
   
  joachimdorn
  Kurzgeschichten
 
Die Rückkehr
 
Nun war er wieder da, zurückgekommen? Er würde es nie so bezeichnen, für ihn war es keine freie Entscheidung, er hatte keine Wahl, er musste es so annehmen von Mutter und Schwester. Diese Wohnung, hastig ausgesucht,  innerhalb von zwei Tagen noch zu streichen, hierbei machte er sofort schon die ersten Abstriche. Sein Heimkommen empfand er als Flucht vor den Niederlagen seines Lebens, die hatten sich gehäuft in den letzten Jahren. Dabei hatte er immer alles nur richtig machen wollen. Nun zog er ein, ein ganzes Leben auf einem Mercedes Sprinter, wenig genug, doch begleitet von besten Wünschen, von Fürsorge und Unterstützung durch die Schwester, die die Mutter immer aufs Neue zur Beteiligung anhielt.
Eine Küche, noch ohne Herd, jedoch noch schnell mit neuem Linoleum ausgelegt, anfangs geht das. Er beschämt sich umblickend, nicht mehr fähig sich vollständig selbst zu versorgen, nicht aus Faulheit oder gar Dummheit, vielleicht aus Hochmut, selbstverliebt, seinen Idealen zu sehr verpflichtet, hörig, von sich zu sehr überzeugt – einfach gescheitert.
Das Wohnzimmer, frisch gestrichen, ein Bett, eine Couch, ein Tisch und dann sein Leben – zwei PC mit Internetanschluß – sein Tor zur Welt. Dort fand er seine Bühne, dort war er ein Star der Rooms, dort zählte nur das Wort, das beherrschte er in jeder Form und in den Foren. Dort war die Maske, das Pseudonym,  der aus dem wilden Süden, der Besondere. Keine Spur von Unsicherheit in den Worten, keine Verletztheit – nein, der Elegante, der Versteher, der Ratgeber, der Mutige, der einsteht für die scheinbar Schwachen.
Der begnadete Zauberer, der bei dir mit Worten Gänsehaut auslöst, der dich dabei Erleben und Erfühlen lässt. Hier taucht er ein in seine Welt, weg vom Alltäglichen, Verpflichtungen, Verantwortung, Zielen, Kämpfen – hier ist alles leicht, alles funktioniert wie am Schnürchen. Hier ist er ein Bestimmer, ein Macher, er gewährt Audienz nach seiner Gnade, nach seinen Vorstellungen. Hier regiert er.
 
Hier ist er zu Hause!
 
Vor rund sieben Jahren hatte es hier begonnen, erste belanglose Worte, einige Neckereien, ein beginnendes Verstehen, eine Neugier aufeinander. Ein erstes Treffen, ein Beschnuppern, weitere Treffen, langsames Näherkommen, den Schritt gewagt, ohne Verpflichtungen, wie sie sich beiden gegenseitig versicherten. Rein körperlich, gelebt auf Wiesen, an Waldrändern, in Hotels, sich einfach hingegeben bis zur beidseitigen Erschöpfung, eingeschlafen in seliger Umarmung, erwacht um erneut zu entflammen. Alles richtig gemacht hatte er, so war seine Meinung, nicht gleich von Liebe gesprochen, nicht gleich Alles offenbart, nicht gleich mit nach Hause genommen. Die Chance zum Ausstieg sich vorbehalten, sie aber auch gewährt. Alles wurde intensiver, wuchs an der Dauer und am Erleben, nicht der Drang danach bestimmte sondern der sinnliche Vollzug. Gegenseitige Besuche begannen, alles war im Fluss, beide jeweils anerkannt im Umfeld des Anderen. Sie hatten sich gefunden, so schien es, waren für einander da, ausschließlich fast und unbedingt, ein Pärchen, eine Gemeinschaft, verstehend ohne Worte, einfach nur liebend.
 
Beide eben zueinander heimgekommen.
 
Er hatte nichts bemerkt, er war ihm nichts aufgefallen, plötzlich diese Andeutungen von Ablehnung, erst sprachlich, er spürte die Zurücksetzung, die Veränderung, fühlte seine Verletzung, wusste nicht um das warum, wollte es auch gar nicht wissen, wollte es nicht wahrhaben, wollte das Vergangene, das Gewohnte einfach nur zurück. Im Erkennen der Unmöglichkeit seiner Erwartung, die Wut entstand, das Unverständnis und die Lust, die erhaltenen Wunden in gleicher Tiefe zurückzuzahlen. So siegte am Ende die Sprachlosigkeit auf beiden Seiten, was einmal wortlos funktionierte, war nicht mehr in Worte zu fassen.
Später hat sie ihm einmal geschrieben, die Liebe seines Lebens, wie er sie insgeheim bezeichnet hatte, ruhig und sachlich, von Sonntagen alleine zu Hause, den Werdegang wie er es selbst gesehen hatte, er hat das Schreiben nicht verstanden. Hat nicht verstanden, dass sie einfach nicht mehr da war, hat nicht verstanden, dass er nicht mehr das ein und alles war. Sie hat es ihm nicht genau erklären können, er behalf sich mit den Umständen, die dagegen waren oder sprachen, dann ließ es sich ertragen.
 
Er hatte doch nur daheim sein wollen!
 
Langsam lebte er sich ein, traf alte Bekannte, manche so alt, dass er sie nicht mehr erkannte. An manche wollte er sich gar nicht mehr erinnern, sowenig wie sie sich an ihn. Er musste sich arrangieren, musste funktionieren in der Bürokratie, sie versorgte und forderte ihn, sie erfüllte sein Leben, zwang ihm ihre Vorstellungen auf. Er hatte Aufgaben, Pflichten, Termine – er hatte zu leisten, im überschaubaren Rahmen.
 
Daheim ist das nicht.
 
Dann der plötzliche Weggang der Mutter, logisch im hohen Alter, was ein als unsinnig empfundenes Argument, es ist einfach unfair, so plötzlich, zuviel Ungesagtes und Nichtgetanes bleibt übrig. Zu spät! Der Selbsttrost, für sie war es gut so, woher dieses Wissen, diese Sicherheit – ist doch nur der egoistische Wunsch, es möge so sein, entmutigt von der Unwissenheit, enttäuscht vom Nicht-Glauben-Können, einfach die Hoffnung, es möge bitte so sein.
 
Die Heimat ist ein Stück kleiner geworden.
 
Dann endlich wieder einen Job, halbtags nur, doch es macht Spaß, Anerkennung widerfährt ihm, er genießt die Zugfahrten trotz des frühen Aufstehens, er lebt wieder.
Im Sommer leistet er sich ein 500 €-Auto, er ist wieder mobil, könnte aufbrechen zu neuen Ufern, eine neue Heimat suchen. Ein einmaliger, etwas zurückhaltender Versuch belehrt ihn schnell, er kann und will das nicht mehr, er hat Angst vor neuen Verletzungen, nein, die alten Wunden sind zu tief.
 
Seine Heimat ist in ihm.
 
Ein lauer Winter zieht ins Land, bei ihm ist alles gut, fast, ein paar Atemprobleme, bekommt er in den Griff, im Frühling, da geht es richtig los. Die Schwester auf eine Jugendfreundin verweist, ein Name, ein paar verschwommene Bilder, Fetzen der Erinnerung, die hat nach ihm gefragt, schau mal nach ihr, Facebook hast du ja. Gesagt, getan unbedarft aber voller Neugier, wie sieht sie heute wohl aus, wie ist wohl so? Erste Nachrichten ausgetauscht, man kennt sich ja, ist offen, ok, mal auf einen Drink verabreden, kein Problem, da passiert ja nix.
Den Abend empfand er als wunderbar, völlig zwanglos, unverkrampft, voller gegenseitigem Vertrauen, gepaart mit einer Vielzahl kleiner, frecher Spitzen, auseinander gegangen in der gegenseitigen Versicherung in Kontakt zu bleiben. Eine Woche Stillstand, er hatte Geburtstag, anderweitig schon lange verplant. Wieder gemailt, telefoniert, gescherzt, erneut verabredet, die Lockerheit blieb, zufällige Berührungen, ein weiterer Abend voller Genuss. Er fragte sich, was passiert hier denn, ein kurzer Gedanke nur, es war ihm egal, er wollte einfach den Augenblick genießen, ausgehungert nach so langer Zeit, ihn einfach festhalten.
Es folgte die beidseitige Erkenntnis, dass beim geschriebenen Wort man mutiger, denn beim gesprochenen. Irgendwann kam es zu Geständnissen, Wünsche formuliert, Versicherungen und Versprechen wurden abgegeben – alles war gut – nur noch eine Kleinigkeit blieb zu klären. Sie wollte nur noch ihr Herz zurückholen, wie sie es beschrieb.
 
War das seine neue Heimat?
 
Sie unterwegs, in Gedanken sei er bei ihr, werde sie anleiten, die richtigen Worte zu finden. Er zu Hause, unsicher, ungewiss, skeptisch – mache dir keine Gedanken, schreibt sie – er hatte unendlich viele.
 
Es wurde keine Heimat.
 
Gewogen und für zu leicht befunden, den Erwartungen doch nicht entsprochen.
Dabei war er zurückgekehrt, zu seinem Mut, hatte es noch einmal gewagt Gefühle zu zeigen und zu formulieren, war noch einmal bereit gewesen sie anzunehmen, wie sie war mit Haut und Haaren, war offen gewesen alles zu investieren.
Es hat nicht gereicht, sie wollte Zeit, konnte sich nicht gleich entscheiden, es kann so oder so ausgehen, die Schmetterlinge sind nicht da, bei Dir muss ich mir zu 150% sicher sein, Du bist so besonders. Ihm wurde ganz komisch bei diesen Ausflüchten, ihre selbsterhöhten Hürden, kaum bezwingbar – keine Chancen. Dann bekam er die Etiketten, das “Anstrengend-Etikett“, er war das, weil er wissen wollte. Eine Zeitlang hat er lächelnd dagegen angekämpft, versucht zu überzeugen, unmöglich – Etiketten kleben. Schließlich gab es das “Ist-ja-gar-nichts-passiert-Etikett“, ob sie sich bewusst war, das Dinge geschehen ohne das etwas passiert.
Er hat es noch versucht, gehofft, geträumt den Zauber wieder zu beleben – vergebens!
 
Im Aufflackern der Bildschirme sah er zum letzen Mal ihr Antlitz und wusste
 
nun war er gleich daheim.
 
 
 
 
(um 0.25 Uhr schaltet der behandelnde Arzt die Monitore aus)

Copyright Joachim Dorn
März 2014

 
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